Die Story von Avocadostore: Schluss mit Hippie-Mode
Öko-Klamotten sind für ergraute Hippies, sehen aus wie Kartoffelsäcke und sind aus Materialien, die auf der Haut kratzen. Dazu sind sie unbezahlbar. Richtig?
Avocadostores Managing Director Mimi Sewalski kennt sich mit Vorurteilen über Öko-Mode aus. Sie war Teil der Zielgruppe des Online-Marktplatzes lange bevor sie 2011 ihre Stelle bei der Firma antrat. Zu dem Zeitpunkt, das gibt sie zu, könnte sie “ein bisschen naiv” gewesen sein. Denn sie ging davon aus, dass die ganze Welt sich um die Probleme kümmert, die Avocadostore in Angriff nimmt, nur weil viele ihrer Freunde das tun.
Letztere waren ganz sicher unrepräsentativ und voreingenommen. Ihre Familie gab schon ein geeigneteres Testfeld für alltägliche Öko-Mode ab. Da waren sie also, konfrontiert mit Produkten von Avocadostore-Verkäufern, und wiederholten wie auf Kommando die gleichen alten Klischees. “Das Bio-Label hat die Eigenart, Vorurteile bei Menschen zu wecken”, sagt Mimi dazu. Dann, so scheint es, ist ihnen der Preis oder das Aussehen völlig egal.
Zum Zeitpunkt von Mimis Ankunft suggerieren Avocadostores Geschäftszahlen eigentlich, dass viele Konsumenten ihre Voreingenommenheit überwunden haben. Der Umsatz wächst schon früh sehr schnell. Aber die Firma profitiert auch davon, der einzige Marktplatz seiner Art in Deutschland zu sein. Ein fragiler Vorteil.
Als sie sieht, wie hart es ist, die zu überzeugen, die ihr zuerst vertrauen sollten, ahnt Mimi, dass Avocadostore mehr als nachhaltige Qualitätsprodukte zu einem vernünftigen Preis brauchen wird. Sie würden einen Weg finden müssen, die Vorurteile auszuhebeln, die noch immer viele Mainstream-Konsumenten fernhalten.
Die Zentralisierung des Eco-Fashion-Marktes
Die amerikanischen Marktforscher von Nielsen stellten 2015 fest, dass 66% der Konsumenten gewillt waren, mehr für nachhaltige Marken auszugeben . In 2014 waren es noch 55%. Das grundsätzliche Interesse an Nachhaltigkeit existiert.
Schon ein halbes Jahrzehnt früher hatten Philipp Gloeckler und Stephan Uhrenbacher die Ideee, Avocadostore als Deutschlands ersten ‘grünen’ Online-Marktplatz aufzubauen. Die jetzt in Hamburg ansässige 20-Mitarbeiter-Firma schaffte zwischen 2011 und 2015 einen Umsatzanstieg von 100.000 Euro auf über fünf Millionen Euro. Sie wurde vom Focus und von Statista zu einem der am schnellsten wachsenden Unternehmen Deutschlands gekürt. Mimi, die heute zusammen mit dem 2015 eingestiegenen Daniel Olesen-Fett das Management bildet, beschreibt, wie die Gründer von Avocadostore anfingen:
“Die zwei bemerkten in Berlin, wo Philipp zu dem Zeitpunkt war, und auch später in Hamburg, wie unzählige kleine Labels um die Ecke Shirts selbst bedruckten und sie in winzigen Läden verkauften. Oft mussten diese Labels dicht machen, weil ihr Umsatz einfach zu schwach war. Also gab es bei den Leuten einen offensichtlichen Willen, Alternativen zur etablierten Kleidungsindustrie aufzuzeigen und anzubieten, aber sie konnten einfach nicht davon leben.”
Der Plan von Gloeckler und Uhrenbacher war, diesen Verkäufern ein größeres Publikum und einen einfachen Prozess mit geringem Risiko zu bieten: eine zentralisierte Online-Verkaufsplattform. Die Konsumenten hingegen sollten nachhaltige Alternativen zu so ziemlich allen konventionellen Produkten konzentriert an einem Ort finden.
Konsumenten wollen nicht als ‘Öko-Freaks’ abgestempelt werden
Mimi war und ist selbst Teil dieser Zielgruppe. Aber sie ist auch ein Kind der 80er, sie wuchs in einer Zeit auf, in der Markenlogos alles waren. Sie erinnert sich, “wie in der Schule immer alle ein T-Shirt der Marke Chiemsee haben wollten. Wir gaben all unser Taschengeld für ein Teil mit dem Logo drauf aus.” Heute würde sie sich wünschen, die Menschen seien ähnlich motiviert, mehr für eine Marke auszugeben, die für sozial und ökologisch verantwortungsvolle Produktion steht, “oder wenigstens für gute Qualität”.
Paradox ist, dass das nur so lange der Fall ist, wie die Marke jede Assoziation des Produktes mit den Begründern der Öko-Mode vermeidet. Die hatten in den 70ern eine Bewegung auf denselben Idealen gegründet, die auch heutige Konsumenten befürworten. Wie ecofashionworld beschreibt, bestand Öko-Kleidung damals allerdings aus “zusammengenähten Flicken, oder Jute und gebatigten Leinensegeln, die aussahen, als würden sie es niemals auf einen Fashion-Week-Laufsteg schaffen.”
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Mehr erfahrenEs scheint, als klebe dieses Bild noch immer fest im Gedächtnis der Konsumenten. Sogar jetzt, da Öko-Mode genau wie alle andere Mode der Gegenwart aussieht. Die Skepsis der Konsumenten gegenüber der Herkunft eines Produktes ist auf eigenartige Weise gepaart mit der Befürchtung, dass man als ‘Öko-Freak’ abgestempelt wird, wenn man es trägt.
Mimi ist sich dieser Problematik bewusst, die vor allem Durchschnittskunden abschreckt, die keine tiefen Wurzeln in der Öko-Szene haben, aber dennoch bewusster konsumieren wollen. Für Avocadostore führt das zu einem Produktmarketing-Dilemma. Sie müssen ihre Ware für Kernkunden als Öko-Fashion sichtbar machen. Dabei dürfen sie aber Assoziationen mit dem früheren Image der Mode keinen Raum geben.
Dieser Widerspruch könnte sogar einem Unternehmen wehtun, dessen Wachstum so offensichtlich ist, wie das von Avocadostore. Denn Mimi sagt uns, dass sich die Firma in den ersten Wachstumsjahren auf die Rationalisierung von technischen Prozessen konzentrierte. Und primär somit nicht gezielt auf den Zugewinn fernerer Kundengruppen. Weil die Öko-Modeinstrie aktuell boomt, wird das allerdings notwendig sein, um neue Konkurrenten auf Distanz zu halten.
Abschaffung der Klischees
Gloeckler und Uhrenbacher hatten sich aus dem operativen Geschäft bereits zurückgezogen als Mimi und ihr Team auf die Lösung kamen. Sie verstanden, dass die ‘Ettikettierung’ vor allem im Kopf der Verbraucher stattfindet. Genau da müsste man sie also auch angreifen.
In einem weiteren Feldversuch bei Freunden und Familie präsentierte Mimi Artikel, ohne jedoch deutlich zu machen, was sie sind: Nachhaltige oder Bio-Produkte.
“Ich zeigte Ihnen Kurbel-Taschenlampen oder einfach Jeans, aber ganz beiläufig. Am Ende sehen Öko-Jeans genau aus wie jede andere Jeans. Ich bemerkte, dass das Interesse der Menschen rapide ansteigt, wenn ich die Geschichte hinter einem Produkt erzähle, wo es herkommt, wie es hergestellt wurde, und nicht einfach nur auf das Öko-Label hinweise.”
Jetzt musste die Erkenntnis nur noch in Avocadostores Webseite übertragen werden, am besten Platz für die Geschichte eines Artikels - seinem Produkttext. Hier liefert Avocadostore mittlerweile detaillierte, rechercheintensive Hintergründe zu Material und Produktion. Oft werden diese in einen globalen Kontext gestellt, nachhaltige Methoden mit den negativen Auswirkungen der etablierten Massenproduktion verglichen.
Ob bei Schuhen aus mehreren Materialien oder einem einfachen Schwamm ausführliche Beschreibungen mit Sachinformationen lassen keinen Raum für Esoterik. Die Kleidung selbst und der Stil der Produktfotos sind nicht anders als das, was man von großen Modeketten erwarten würde. Keine Dreadlocks, keine Waldschraten-Models, keine Kartoffelsäcke.
Für mehr Überblick bei den teils großen Textblöcken hat sich Avocadostore ein detailliertes System aus zehn Kriterien ausgedacht. Diese beschreiben Anforderungen in verschiedenen Kategorien wie biologischer Anbau, Arbeitsbedingungen, Haltbarkeit oder CO2-Bilanz.
Diese Strategie ähnelt der von Großunternehmen wie C&A oder H&M . Sogar diese Riesen der Fast-Fashion haben mittlerweile kapiert, dass Nachhaltigkeit eine Pflicht ist. Für sie allerdings wohl eher eine rein ökonomische .
Die Big Player haben eine stabile Kundenbasis durch ihre fast ausschließlich nicht nachhaltig produzierten Modelinien. Sie können bewusstere Produkte als eine Upselling-Option anbieten. Avocadostore hingegen ist auf eine Kundengruppe angewiesen, die homogen in ethischen Grundsätzen ist. Obwohl diese Gruppe nachweislich wächst, ist es Avocadostores tägliche Herausforderung, zu zeigen, dass sie anders in Sachen Ethik und kein bisschen anders in modischer Aktualität sind.
Die Zahlen legen nahe, dass das ziemlich gut klappt. Heute beheimatet Avocadostore 460 Verkäufer und 85.000 Artikel, der Umsatz wuchs im vergangen Jahr um 80%. Ausgestattet mit ihrer eigenen Shop-Software, haben sie große Ambitionen für die Zukunft. Mimi nennt es als ihr Ziel, “eines Tages ein grünes Amazon zu werden”, denkt dann vermutlich an nicht ganz so ruhmreiche Berichte über den weltweit größten Online-Marktplatz und fügt hinzu, “naja, zumindest was Usability und Produktvielfalt angeht.”