Ecommerce Story Sonntagmorgen: Vom Witz zum ernsthaften Unternehmen
“Plötzlich standen wir unter extremem Druck. Im einen Moment alberst du herum, im nächsten brauchst du ein richtiges Konzept. Wir hatten kein Businessmodell, keinen Plan, kein Produkt. Alles, was wir hatten, war eine Webseite, auf der sich jeder für mehr Infos anmelden konnte.”
Ich spreche mit Till, Mitgründer und Geschäftsführer von Sonntagmorgen.com . Er führt mich durch die Anfänge seiner Firma, erklärt, wie alles mit einem Witz anfing, über den er noch heute lachen kann.
Mit über als zehn Mitarbeitern in Porta Westfalica und Berlin hat Sonntagmorgen seinen Umsatz zwischen 2014 und 2015 verdoppelt, indem sie handverlesene Kaffeebohnen rösteten und diese sowie passendes Zubehör online verkauften.
Till erzählt uns die Story seines erfolgreichsten Witzes aller Zeiten.
Ein verdammt guter Witz
Till und sein ehemaliger Schulkamerad Alex saßen am Esstisch und nippten an ihren Espressos, während sie Ideen für ein Unternehmen austauschten, das mit Kaffee zu tun haben sollte. “Wir hatten viele davon. Wir dachten etwa an eine Plattform, auf der Menschen andere finden könnten, die ihren Kaffee auf dieselbe Weise trinken. ‘Milch und Zucker’ - das könnte Millionen verbinden!”
Eine Idee, die eher haften blieb, war die des Mischens von Kaffee für den Geschmack individueller Kunden. Sie schufen ein Logo und den Namen ‘Zuckr’ (ein Seitenhieb auf den ‘r’-Wahnsinn, das gerade mit flickr und tumblr seinen Höhepunkt erreicht hatte). “Wir dachten gar nicht, dass sich daraus viel entwickeln würde, aber ich informierte trotzdem einfach mein gesamtes Netzwerk. Wir setzten lediglich eine einzige Webpage auf, mit einem Anmeldeformular, um weitere Informationen zu erhalten.”
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Mehr erfahrenDas Resultat war jedoch eine Welle von Anmeldungen und Anfragen von Journalisten, Scouts und anderen. “Die Leute liebten tatsächlich unsere Idee. Das war cool und so, bis auf das Detail, dass es noch gar keinen richtigen Plan dahinter gab.” Nun konnten sie allerdings keinen Rückzieher mehr machen. Sie hatten einen Nerv getroffen und mussten liefern. Erst jetzt fingen sie wirklich an, darüber nachzudenken, was sich später zu Sonntagmorgen.com weiterentwickeln würde.
Ernsthafte Absichten
“Diese Resonanz überzeugte uns, dass es tatsächlich funktionieren könnte”, sagt Till, “aber wir mussten sichergehen”. Sie nahmen einen weiteren Freund, Tamer El-Hawari, ins Team auf und investierten 2000€ mit der Absicht, für zwei Wochen Kaffee zu mischen.
Aus zwei Wochen wurde ein halbes Jahr, in dem sie “das Ganze verfeinerten”, was zudem mit dem Launch ihrer Webseite, mit erstem Wachstum und der Investition in ein Büro und eine Handvoll Angestellte einherging. “Wir nahmen Fahrt auf”, sagt Till, “und die Kunden liebten unseren Produktkonfigurator.”
Kaffeevarianten zu mischen war ein guter Ausgangspunkt. “Allerdings stellten wir bald fest, dass wir das Rösten eigene Hände nehmen müssten, um wirklich individuellen, eigenen Kaffee verkaufen zu können”, erklärt Till. “Wir wollten eigene Geschmäcker kreieren und Bohnen direkt von selbst augewählten Kaffeebauern kaufen.”
2012 nahmen Till und seine Mitstreiter die Zwischenhändler aus dem Prozess und bauten ihre eigene Rösterei auf. “Ein wichtiger Schritt zu direktem Handel und zu einem Dasein als Premium-Anbieter. Etwa zu der Zeit begannen wir außerdem, uns auf herausragende Kaffeesorten zu konzentrieren, und diese auch auf diese Weise zu verkaufen”, erinnert sich Till.
Heute wählt Sonntagmorgen die Bohnen selbst aus, mit einem Auge auf besondere Qualität und auf gute Konditionen für alle involvierten Parteien, vom Farmer bis zum Endkonsumenten. Weil das bloße Mischen nicht wirklich in diesen Ansatz passte, wurde es beinahe gänzlich aufgegeben.
Stattdessen schiebt das Startup seinen Abonnement-Service Kaffeebitte.de an, der ihr Produkt einfacher zugänglich machen soll. Till und sein Team investieren außerdem viel Zeit in die Verbesserung von Rösttechniken, und viel Geld in langfristige Beziehungen mit Kaffeefarmern und Importeuren.
Wachstumsstrategien
Der Trend zum bewussteren Kaffeegenuss und eine wachsende Gruppe von ‘Foodies’ haben Sonntagmorgen sicherlich geholfen.
Um auf dieser Wellen zu reiten, kombinierten sie Push- mit Pull Marketing-Taktiken. Es war ein Resultat ihres Ansatzes, sowohl bekannte Marken in Accessoires als auch gänzlich eigene Produkte anzubieten. Diese mussten zuerst auf dem Markt etabliert werden.
“Handele, wähle - warte nicht, bis man dich wählt”, empfiehlt Till hierbei. “Wenn du der einzige Anbieter eines lebensverändernden Produkts bist, dann kannst du eventuell darauf warten, dass jemand auf dich zukommt. Falls nicht, musst du den ersten Schritt machen.”
Genau das taten sie. Sie zogen ihre frühen Kunden durch PR und Empfehlungen an, zumeist auf Social Media-Kanälen. Das Konzept der Mass Customization legte nahe, diese Kanäle zuerst zu nutzen. “Wenn du ein individuell angepasstes Produkt bewirbst, dann solltest du Social Media bespielen. Dort kannst du Menschen auf einem Kanal erreichen, der viel persönlicher ist als ein Plakat oder TV-Spot.”
Mittlerweile hat sich die Strategie zu SEO-basiertem Pull Marketing verschoben, mit Landing Pages für die verschiedenen ‘Anwendungsfälle’ für Kaffee und einen Blog. “Wenn man es richtig anstellt, ist Marketing, egal ob PR, SEO oder Empfehlungen, toll, um von der eigenen Firma zu erzählen. Man sollte aber immer bedenken, dass es keinen Sinn hat, wenn kein tolles Produkt dahintersteckt.
Ratschläge
Till gibt uns abschließend noch ein paar Ratschläge für Gründer mit auf den Weg. Für all solche, die in Schockstarre am Rand des Sprungbretts stehen, und den Sprung nicht wagen.
“Ich erinnere mich noch gut, wie besorgt wir nach dem Erfolg der Anmeldeseite waren. Völlig grundlos. Wir haben gelernt, dass selbst wenn es berechtigte Zweifel gibt, der Schlüssel für langfristigen Erfolg darin liegt, nicht einzuknicken. Wahrscheinlich wirst du dich anpassen müssen, ja, aber es wird nicht klappen, wenn du es erzwingen möchtest. Deshalb geht es vor allem um Hartnäckigkeit.”
Es hilft offenbar auch, wenn man die Dinge nicht zu ernst nimmt. “Ich sehe viele aufstrebende Gründer, die total verliebt in ihre Idee sind. Also fixieren sie sich voll und ganz darauf und sind unfähig, ihr Businessmodell in eine Richtung zu verändern, die viel besser funktionieren würde. Dass unser erstes Konzept eine Art Witz war hat uns, glaube ich, sehr flexibel gemacht.” Also, warum denn so ernst?